Manchmal treten Dinge unangekündigt und gegen unseren Willen in unser Leben. Zu einem Zeitpunkt, der nicht der richtige ist. Genau in solchen Momenten wird Veränderung möglich – wenn wir sie zulassen. Darum soll es heute in diesem Artikel gehen: um einen bestimmten Schicksalsschlag in meinem Leben, der ab dem Moment seines Geschehens mein gesamtes Kartenhaus zum Einsturz brachte und für den ich heute zurückblickend dankbar bin. Dieser Moment hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin, und letztendlich erwuchs daraus meine Leidenschaft, die mich heute als Schreibender und Redner antreibt. Doch der Schmerz war notwendig – der Schmerz, der mir damals den Boden unter den Füßen wegriss, sodass ich nicht mehr weiterwusste. Ich hatte zudem niemanden an meiner Seite, den ich hätte um Rat bitten können. So geht es vielen, wenn das Leben die Karten neu mischt und man sich einsam fühlt – allein in einer Welt der viel Beschäftigten und ständig Erreichbaren. Doch was tut man als Betroffener, wenn die Seele nicht erreichbar ist und niemand mehr an einen herankommt?
Gehen wir zurück zu einem Zeitpunkt, an dem ich nicht wusste, wer ich wirklich war. Ich bastelte mir ein Konstrukt aus den Erwartungen meiner engsten Mitmenschen, um schließlich die Person zu werden, die ich viele Jahre, ja Jahrzehnte, zu sein glaubte. Doch der Seelenplan sah später einen anderen Weg für mich vor, ohne dass ich es damals ahnte. Tief in meinem Inneren begleitete mich meine Intuition, die mir während meiner Schul- und Berufslaufbahn leise zuflüsterte, wenn ich nicht weiterwusste. Oft war es das Gefühl, dass ich etwas anderes tun wollte, als das, was von mir zu Hause erwartet wurde. Ich lebte und handelte gegen meine Seele. Dass diese Gleichung nicht lange aufgehen konnte, war mir lange nicht bewusst. Ich richtete mich nach der Masse. Nach dem Motto: „Wenn das so viele Menschen machen, dann wird das schon irgendwie richtig sein“. Und so ging ich meinen Weg, bis ich an jenem Tag von heute auf morgen alles verlor, was ich mir bis zu meinem 24. Lebensjahr aufgebaut hatte. Das Leben ist ein Spiel, und zu diesem Zeitpunkt standen die Karten gegen mich. Ich hatte sie anzunehmen und zu akzeptieren. Damals gab es niemanden, dem ich mein Schicksal anvertrauen konnte. Es war nie meine Art, über „Gefühle“ zu sprechen – schon gar nicht mit „Freunden“. Ich bin ein Kind der 90er, als Jungs „keine Gefühle“ zeigen durften. Auch diesen Teil schleppte ich erfolgreich mit mir, bis mein „Glashaus“ endgültig zusammenbrach. Meine Gedanken kreisten ständig um die Tatsache, dass die zuvor aufgebaute „Illusion“ erloschen war. Ich hatte keinen Halt mehr und nichts, woran ich mich klammern konnte. Einzig der Glaube an Gott und an den Hinduismus, dem ich seit meiner Geburt angehöre, gaben mir in den dunkelsten Stunden meines Lebens die Hoffnung, dass es eines Tages besser werden würde. Dass am Ende des dunklen Tunnels das Licht auf mich wartet, nach dem ich mich mein ganzes Leben lang gesehnt hatte. Bis dahin war mein Leben eine „Rebellion“ gegen all jene, die versuchten, meinen Charakter nach ihren Vorstellungen zu formen. Doch diese Rechnung ging nicht auf. Mein Wille, mich dem Ganzen nicht zu fügen, war zu stark – sowohl zu Hause als auch außerhalb.
Schlaflose Nächte, gefolgt von ständig wiederkehrenden Gedanken und all die Verzweiflung sollten eines Tages ein Ende haben. Zu diesem Zeitpunkt war es für mich fast unmöglich, daran zu glauben. Zu stark war die Welle der verletzten Gefühle, die mich wie ein Tsunami heimsuchte. Als ich eines Tages auf meiner Reise zu mir selbst Frau Dr. M. traf, gab sie mir den entscheidenden Anstoß für meine spätere Berufung. Ich suchte Hilfe bei ihr, weil sie ausgebildete Ärztin für seelische Gesundheit war. Als ich ihr zum ersten Mal meine Geschichte und mein damaliges Schicksal anvertraute, sagte sie: „Eigentlich könnten Sie darüber ein Buch schreiben. Sie würden damit sehr vielen helfen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Ich werde Sie hier nicht aufnehmen. Sie sind ein sehr starker Mensch, der gerade nur durch die Umstände geschwächt ist.“ Das Wort „stark“ war mir fremd, und ich hatte mich selbst nie so gesehen. Auch wenn es in jungen Jahren durchaus Herausforderungen gab, die mich Mut und Nerven kosteten, aber die ich letztlich überwunden hatte, wollte ich als „Hilfesuchender“ doch etwas anderes hören – besonders, da ich mich am Ende fühlte.
In diesem Moment ging der Rat in ein Ohr rein und zum anderen wieder raus. Ich wollte eine sofortige Linderung meiner unsichtbaren Schmerzen, die sich wie feine Nadeln in meine Seele bohrten. Damals sah ich die Welt durch einen „schwarz-weißen“ Tunnelblick. Sie gab mir ein paar Tipps mit auf den Weg, die ich in den darauffolgenden Tagen umsetzen sollte, wie zum Beispiel Tai-Chi-Musik zu hören und dabei mit einer Tasse Tee und einer Decke die Klänge auf mich wirken zu lassen. In dem Moment fühlte es sich komisch und seltsam an – vor allem für mich, weil ich so etwas noch nie zuvor gemacht hatte. In meinem Kopf und geprägt von der Kindheit in den 90ern gab es noch die strikte Trennung, was Jungen und Männer machen durften und was nicht. Lesende aus dieser Zeit wissen, wovon ich spreche.
Doch ich hatte keine andere Wahl. Nach anfänglichem Zögern widmete ich mich dieser Art der Verarbeitung. Irgendwann fühlte es sich gut an, und ich begann, dieses Ritual fest in meinen Alltag zu integrieren. Schließlich kostete es mich nichts. Exakt am nächsten Tag, als ich das Ritual erneut praktizierte und an meinem Tee nippte, kam mir Frau Dr. M.s Gedanke erneut in den Sinn – diesmal als Geistesblitz: „Eigentlich könnte ich es wirklich tun. Ich könnte meiner Rebellion, die ich zu Hause und innerhalb meiner kulturellen Kreise auslebte, endlich ein Gesicht geben. Eine Stimme sein für all diejenigen, die gehört und gesehen werden wollen. Diejenigen, die sich innerlich genauso fühlen wie ich – unverstanden, ungehört und unsichtbar.“ So widmete ich mich damals, während ich selbst in seelischer Dunkelheit steckte, der Mammutaufgabe, das „Glashaus“ zu schreiben.
Ich schrieb alles von der Seele, was geschrieben werden sollte und musste. Alles, was die kulturelle und auch die hiesige Gesellschaft erfahren sollte. Bis dato – 2012 – hatte sich niemand aus der im Exil lebenden tamilischen Gemeinschaft aus Sri Lanka getraut, öffentlich darüber zu sprechen. Die öffentliche Rebellion war geboren, und damit auch ein Funken Hoffnung in meiner scheinbar ausweglosen Lage. Ein Funken Licht in dem dunklen Tunnel, in den ich einst gefallen war und von dem ich nicht zu glauben wagte, ihn wieder verlassen zu können. Allein aus dem Sumpf der Dunkelheit herauszukommen, erfordert neben Mut auch ein Quäntchen Glauben an die Hoffnung. So machte ich in kleinen Schritten den Weg zurück ins Leben. Ich begann neben dem Schreiben mit Sport.
Meine Seele und mein Körper sollten wieder stärker werden. Ich ernährte mich gesünder, und nach und nach lichtete sich der Nebel. Mit jedem kleinen Fortschritt schöpfte ich neue Hoffnung. Die Reise zur seelischen Heilung begann mit der Veröffentlichung von „Glashaus“. Heute blicke ich zurück auf eine Reise von tausend Schritten. Auf unzählige Auftritte vor Hunderten von Schülern, die sich mir geöffnet haben und denen ich helfen konnte, weil sie sich endlich gesehen und verstanden fühlten. Eine Medienpräsenz, die ich mir zu Beginn meiner Autorenreise nie hätte vorstellen können. Doch tief in mir waren immer die Hoffnung und der Glaube daran, dass es möglich ist. Ich wollte schon immer einen Beitrag zur Gesellschaft leisten, und das habe ich erfolgreich geschafft. Ich will junge Menschen aus ihrer inneren Isolation herausholen. Ihnen möchte ich auch weiterhin mit der „Identitätsreise – Wer bin ich wirklich?“ einen Hoffnungsschimmer aufzeigen. Es ist nie zu spät, ein neues Kapitel des Lebens zu schreiben. Mein neues Kapitel schrieb ich mit 24 Jahren, und heute bin ich dankbar, dass alles so gekommen ist, wie es kommen musste.
Und die Reise geht weiter …