Emotionaler Rückzugsort

Häufig werde ich auf Schulveranstaltungen von Schülerinnen und Schülern gefragt, wie ich es geschafft habe, die Wunden meiner Seele zu heilen, ihre Narben zu akzeptieren und wie es mir möglich ist, den inneren Frieden zu wahren. Ob es bestimmte Menschen in meinem Leben gab, die mich auf meinem Weg in die Öffentlichkeit begleitet und geprägt haben. Darum soll es nun in diesem Beitrag gehen.

Die ersten Risse erhielt meine Kindheitsseele, als ich anfing, mich gegen häusliche Regeln zu wehren. Früh kämpfte ich bereits für meinen Willen und meine Freiheit, weil ich schlichtweg nicht anders konnte. Auch wenn ich dafür einen hohen Preis bezahlen musste: den Verlust der häuslichen Liebe und eines Fundaments, das in jungen Jahren eigentlich für emotionale Stabilität und Sicherheit Sorge tragen soll. Und so zeigte mein „Glashaus“ zunehmend Sprünge, wurde fragil und krachte schließlich ein. So war meine Seele vor den Angriffen von außen nicht genügend geschützt, sodass ich früh lernen musste, mit emotionalen Verletzungen jeglicher Art umzugehen.

Neben meinen Alltagspflichten und den Projekten, die ich anstrengte, benötigte ich eine Art geistigen „Ruheort“ im Innern, in dem ich für mich sein konnte, um dort Kraft und Energie zu schöpfen. Im Alter von 25 Jahren legte ich zu diesem Zweck gezielt den Sonntag als jenen Tag in der Woche fest, an dem ich fortan nichts anderes tun sollte, als aus meinem Inneren die Kraft und Energie zu gewinnen, die der Rest der Woche erfordert. Mit meinen Aufenthalten in diesem Ruheort gelang es mir mit den Jahren, neben der Schöpfung innerer Ruhe und der daraus resultierenden Kraft gleichzeitig auch die emotionalen und seelischen Wunden der Vergangenheit zu heilen. Als ich mit der bundesweiten Arbeit in Schulen anfing, bemerkte ich, dass es eine Vielzahl von jungen Menschen gibt, die ebenfalls die große Last verschiedenster emotionaler Verletzungen tragen. Ihre Verletzungen ereigneten sich dabei zu Hause, im Freundeskreis oder in den Weiten des Internets – im Speziellen im teilweise gefühlt gesetzlosen Raum der Sozialen Medien. Dies sind nur Beispiele für sowohl physische als auch virtuelle Orte, an denen Menschen Demütigungen und Schmerz erlebten und sich fortan innerlich allein gelassen und einsam fühlen. Nach wie vor ist die Scheu der Betroffenen, darüber zu sprechen, noch viel zu groß. Dies gilt sowohl für weibliche als auch männliche Jugendliche. Eine Lösung wäre, bereits während des Unterrichts die Schülerinnen und Schüler immer wieder auf das breite Spektrum der anonymen Hilfsangebote aufmerksam zu machen. Sie so weit darin zu stärken und aufzubauen, dass sie erkennen, dass es absolut nicht verwerflich ist, sich Hilfe zu holen. Im Gegenteil: Es ist mutig und heldenhaft, gerade dann für sich selbst einzustehen, wenn es kein anderer tut. Allein der Hinweis auf den Schulsozialdienst würde Betroffenen dabei helfen, den ersten Schritt der Selbstbefreiung zu wagen.
Persönlich hätten mir solche Hinweise geholfen, um mich während der Schulzeit aus meinem inneren Bunker herauszutrauen, in dem ich mich bis zum 24. Lebensjahr selbst gefangen hielt. Damals war ich der felsenfesten Überzeugung, dass mein „Schattenthema“ nur für mich bestimmt war und für sonst niemanden. Auf der Reise durchs Leben gelang es mir dann, zu erkennen, dass es da draußen eine Vielzahl von Betroffenen gibt, die mein Schicksal teilen. In dem Moment, in dem ich mich entschied, als erster im Exil lebender Tamile öffentlich über diese Dinge zu sprechen und Betroffenen zu helfen, gelang es mir, meine Bestimmung im Leben zu finden. Das Warum trat mit jeder Veranstaltung und mit jeder neuen Reise meiner Botschaft immer weiter aus dem Nebel und stand letztendlich ganz klar vor mir. Seit 2016 konnte ich bis heute mehrere Tausend Schüler emotional erreichen und für diese Aufgabe bin ich überaus dankbar. In jedem Moment, in dem ich vor diesen vielen jungen Menschen stehe, die ihren Lebensweg noch vor sich haben, und ein Stück weit deren Angst nehmen kann. Dafür stehe ich auf und daraus schöpfe ich meine Kraft, die Dinge zu tun, die ich tue. In jedem Augenblick und mit jedem Atemzug.

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